Sophia Reißenweber
Sophia Reißenweber ist Industriedesignerin, die an der Schnittstelle von Materialforschung, Biotechnologie und Industrie tätig ist. Sie ist fest überzeugt davon, dass wir gesellschaftliche und ökologische Transformationsprozesse durch Design dringend vorantreiben müssen. Ihr Ziel ist es, durch forschungsbasierte Gestaltungsmethoden resiliente Systeme und zukunftsfähige Produkte zu entwickeln. Der Einsatz neuer Technologien und lokaler Reststoffe spielt dabei eine zentrale Rolle, um Materialkreisläufe zu schließen und nachhaltige Lösungen zu schaffen. Sophia Reißenweber verbindet kreative Ansätze mit innovativer Forschung, um Produkte zu gestalten, die sowohl den Bedürfnissen der Gesellschaft als auch den Anforderungen der Umwelt gerecht werden.

Interview mit Sophia Reißenweber
Wie beeinflusst wissenschaftliche Forschung deine kreativen Prozesse und Ideenfindung?
Materialforschung ist ein zentraler Bestandteil meiner Designprozesse, da sie mir ermöglicht die Potenziale von Rohstoffen und Restmaterialien neu zu bewerten. Ich frage mich: Wie können wir Ressourcen effizienter nutzen und Materialkreisläufe durch z.B. biotechnologische Prozesse lokal schließen und in unseren Alltag integrieren? Von Alttextilien bis zu Hühnerfedern: Industrielle Reststoffe bergen oft ungenutzte Möglichkeiten, die ich in meiner Arbeit auf Grundlage von fundierten wissenschaftlichen Erkenntnissen erforsche, sichtbar mache und anhand von konkreten Materialbeispielen und Prototypen kommuniziere.
Dein Projekt „Break-up Lab“ befasst sich mit Recyclingstrategien. Wie siehst du die Rolle von Design bei der Bewältigung ökologischer Herausforderungen?
Besuche auf Recyclinghöfen, Sortieranlagen oder Müllverbrennungsanlagen machen die Verantwortung, die wir als Gestalter*innen tragen, auf eindrucksvolle Weise greifbar und treiben mich an. Zuletzt inspirierte mich beim Besuch einer alten Papiermühle ein Prozess, der im 18. Jahrhundert im so genannten Faulebecken herbeigeführt wurde. Durch Mikroorganismen wurde ein Recyclingprozess in Gang gebracht – alte Lumpen wurden zerfasert, so dass Papier und Pappe daraus hergestellt werden konnten. Durch das Beobachten von Prozessen und den Austausch mit Akteur*innen wird nicht nur deutlich, welche Hürden in den aktuellen Systemen existieren, sondern auch, welche Potenziale und Bedarfe dahinterstecken. Besonders motiviert mich, dass durch meine gestalterischen Methoden multidisziplinäre Zusammenarbeit gefördert wird und dadurch zukunftsweisende Synergien zwischen Forschung und Industrie entstehen können. Mein Gestaltungsansatz zielt darauf ab, Veränderungen zu fördern, indem ich nicht nur Produkte und Verfahren entwickle, sondern auch alternative Systeme und Verhaltensweisen erprobe und diese durch gestalterische Mittel zugänglich mache.
Die Auseinandersetzung mit innovativen Geschäfts- und Servicestrategien spielen dabei eine große Rolle, z. B. indem für die Rückgabe von ausgedienten Produkten nach der Nutzungsphase neue Anreize geschaffen oder Reparaturen gefördert werden. So könnten Wachstum und Ressourcenverbrauch voneinander entkoppelt werden – ein Ziel, das ich mit meiner Arbeit vorantreiben möchte.
Wie definierst Du Deinen Designansatz? In welchem Projekt ist dieser besonders treffend und unter welchen Gelingensbedingungen umgesetzt?
Ich denke den gesamten Lebenszyklus eines Produkts von Anfang an mit – bis hin zum End of Life und noch darüber hinaus. Ein weiterer wichtiger Aspekt dabei ist die Entwicklung regionaler Materialströme und die Vermittlung der Potenziale, die dahinterstecken. Ich betrachte Materialien und Produkte in ihren komplexen Zusammenhängen und aus unterschiedlichen Perspektiven. Dazu gehört unter anderem der Austausch mit Expert*innen aus der Forschung, den Umweltwissenschaften und der Industrie. Das ist besonders wichtig, um aktuelle Hürden zu erkennen und anschließend Ideen und Potenziale besser bewerten und einordnen zu können. Durch die Zusammenarbeit mit lokalen Akteur*innen entstehen komplexen Kollaborationen. So dass z. B. die lokal anfallenden Reststoffe, wie Alttextilien zum Rohstoff in biotechnologischen Verfahren werden und schließlich neue Wertschöpfungsketten daraus entstehen können.
Welche Nachhaltigkeitsaspekte sind für Dich besonders wichtig? Und wie setzt Du diese in Deinen Projekten um?
Mein Anliegen ist es, nach gesellschaftlichen und ökologischen Bedürfnissen zu gestalten. Das bedeutet, Produkte möglichst lange in der Nutzung zu halten, bevor wir sie einem Recycling zuführen. Doch an erster Stelle müssen Abfälle zu reduziert und eine Wiederverwendung gefördert werden, indem Produkte langlebig, reparierbar und adaptierter gestaltet sind und bestenfalls lokal produziert werden. Im Gestaltungsprozess frage ich mich von Beginn an: Was passiert am Produktlebensende? Welche alternativen und innovativen Nutzungs- und Geschäftsmodelle brauchen wir dafür?
Mich Interessiert zudem, welche nächsten Schritte wir gehen müssen, um ein gesellschaftliches Umdenken voranzutreiben. Industriedesign ist deshalb sehr relevant, denn Gestaltung kann zum Werkzeug für Gemeinschaft, Teilhabe und kulturelle Entwicklung werden – weit mehr als nur zur ästhetischen oder formalen Selbstinszenierung.
Was wünschst Du Dir für Deine berufliche Praxis? Von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik?
Ich wünsche mir, dass meine Kompetenzen als Industriedesignerin auch außerhalb der Blase wahrgenommen werden, um zukunftsfähige Prozesse voranzutreiben. Ich hoffe auch, dass die Industrie und Wirtschaft die Dringlichkeit und die Potenziale dahinter erkennen, um ein nachhaltigeres Produzieren und Konsumieren zu ermöglichen.